Eine Frage der Ethik und Moral
Intensive Diskurse zum „Russland-Vorschlag“ des IOC prägten das 9. Biebricher Schlossgespräch
Simon Ehammer (links) und Niklas Kaul mit dem Fair Play Preis des Deutschen Sports 2022. © DOSB/picture-alliance/Kaufhold. |
Am gestrigen Donnerstag, dem 27. April 2023, fand das 9. Biebricher Schlossgespräch in Wiesbaden statt. Organisiert von der Deutschen Olympischen Akademie (DOA) und in Kooperation mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport bot die Veranstaltung große Emotionen. Mehr als hundert Gäste aus den Bereichen Sport, Politik, Medien und Wirtschaft hörten im ersten Teil des Abends bei der Podiumsdiskussion das Für und Wider der IOC-Empfehlung, russische und belarussische Athlet*innen wieder bei internationalen Wettkämpfen starten zu lassen. Im zweiten Teil wurde der Fair Play Preis des Deutschen Sports verliehen – und sorgte für Gänsehautmomente.
„All Games, All Nations“ – zerbricht die Einheit des Weltsports?
Das Thema des Abends ließ kontroverse Debatten vermuten – und das Publikum in der Rotunde des Biebricher Schlosses wurde nicht enttäuscht.
Den Auftakt machte Peter Beuth, der Hessische Minister des Innern und für Sport, der sich deutlich positionierte. Dass russische und belarussische Athlet*innen wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen sollen, bezeichnete der CDU-Politiker als „vollkommen inakzeptabel und untragbar“. Er forderte das IOC auf, eine klare Haltung einzunehmen und diese auch „kraftvoll zu vertreten“.
Eine differenzierte Position vertrat Torsten Burmester, der als Vorstandsvorsitzender des DOSB einen Impulsvortrag hielt: Der DOSB habe sich klar positioniert und sei momentan gegen eine Teilnahme russischer und belarussischer Athlet*innen. Er müsse aber auch die langfristigen Folgen für den Weltsport und dessen Verantwortung für die internationale Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle staatlicher Interaktion bedenken. Der russische Überfall habe eine Zeitenwende ausgelöst, Jahrzehnte kooperativer Politik würden abgelöst durch ein Konfliktmodell von unbestimmter Dauer. Eine der Kernaufgaben des Sports sei es, Brücken zu bauen und Verständigung zu ermöglichen. Möglicherweise benötige der Weltsport angesichts des Eintritts in dieses neue Zeitalter der systematischen Konflikte noch klarere Spielregeln und weniger ad-hoc-artiges Agieren. Der Sport müsse seine Werte und Grundlagen erneuern. Und definitiv, so Burmester, brauche es eine Stärkung der Autonomie des Sports.
Im Anschluss fand die zweiteilige Podiumsdiskussion statt, die vom Sportjournalisten und Filmemacher Eike Schulz moderiert und durch einen Musikbeitrag getrennt wurde. Auf dem Podium saßen Axel Balkausky (ARD-Sportkoordinator), Leonie Ebert (Europameisterin Fechten), Dr. Joachim Rücker (Geschäftsführer DOSB-Menschenrechtsbeirat) und Kai Pfaffenbach (Reuters-Fotojournalist).
Alle Gäste teilten die Sichtweise Beuths aus der Eröffnungsrede. Aus einem ethischen Blickwinkel argumentierte Rücker, der in seiner Entscheidungsfindung auf das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater verwies, welches vom DOSB in Auftrag gegeben worden war. Das Anti-Diskriminierungsgebot sei nie absolut, sondern immer relativ. Unter diesem Gesichtspunkt müsse Diskriminierung aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und abgewogen werden. Diese Abwägung habe das IOC, das sich auf die Einschätzung zweier UN-Sonderberichterstatterinnen beruft, nicht adäquat befolgt. Rückers Fazit: Die Schutzverantwortung gegenüber der ukrainischen Bevölkerung überwöge alle anderen Diskriminierungsformen – vor allem die der russischen Athlet*innen, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen.
Die prekäre Situation in der Ukraine visualisierte Kai Pfaffenbach, der drei Wochen als Fotograf von der Front in Bachmut berichtet hatte und einige seiner Aufnahmen im Biebricher Schloss zeigte. Mit seinen Bildern habe er versucht, das Menschliche in diesem Krieg festzuhalten – die Erschöpfung der ukrainischen Soldaten, die Müdigkeit der Bevölkerung, die Trauer von Betroffenen. Pfaffenbachs Urteil: „Ethisch-moralisch ist es nicht vertretbar, russische und belarussische Sportler*innen wiederzuzulassen.“
Ziemlich beste Konkurrenten
In der zweiten Hälfte der Veranstaltung wurden die Stärken des Sports anschaulich und greifbar. Mit dem Schweizer Simon Ehammer und dem Mainzer Niklas Kaul wurden zwei der weltbesten Zehnkämpfer für ihr Miteinander im Wettkampf geehrt – mit der Feel-Good-Story bei den European Championships in München als Highlight. Sie waren beide in Biebrich zu Gast und wurden in der Kategorie „Sport“ mit dem Fair Play Preis des Deutschen Sports ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Thomas Weikert, der Präsident des DOSB, der den – vermutlich von allen Anwesenden geteilten – Wunsch äußerte, die beiden Sportfreunde gesund bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 wiederzusehen.
Emotional blieb es, als Rosi Mittermaier-Neureuther gedacht wurde, die im Januar überraschend verstorben war. Sie erhielt den „Sonderpreis“ für ihren lebenslangen Einsatz für Fair Play, Toleranz und Anti-Diskriminierung. Aus terminlichen Gründen war es ihrer Familie nicht möglich, an der Preisverleihung teilzunehmen. Stattdessen bedankte sich ihr Ehemann Christian Neureuther in einem berührenden Video bei der Jury um ihren Vorsitzenden Prof. Dr. Manfred Lämmer und den Preisstiftern, dem DOSB und dem Verband Deutscher Sportjournalisten: „Wichtig ist, dass die Rosi mit ihren Werten durch den Preis weiterlebt und dass wir in ihrem Sinne freudig und positiv nach vorne schauen.“
Großer Scheck vom Innenminister
Sehr erfreuliche Nachrichten gab es für die Deutsche Olympische Akademie. Peter Beuth überreichte einen Fördermittelbescheid des Landes Hessen über 125.000 Euro an die Vorsitzende der DOA, Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper. „Wir sind dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport sehr für seine langjährige Unterstützung und Partnerschaft verbunden. Die großzügige Summe, die wir heute erhalten durften, ist eine wichtige Stütze für die Arbeit der DOA, um die Werte des Sports und der Olympischen Bewegung am Standort Frankfurt, in Hessen und auf Bundesebene zu vermitteln – unter anderem mit den Biebricher Schlossgesprächen, die im nächsten Jahr zum zehnten Mal stattfinden werden.“
Für den Fair Play Preis 2023, der traditionell im Rahmen der Gesprächsreihe verliehen wird, können bereits jetzt und bis zum 31. Dezember Vorschläge eingereicht werden. Zum Nominierungsformular geht es hier.